Eine stille Regel der internen Nachfolge lautet:
Je höher der akademische Grad, desto größer manchmal die Gefahr, die Realität des Unternehmens misszuverstehen.

Denn der akademische Grad misst nicht den Bildungsgrad – und schon gar nicht die Fähigkeit, in lebendigen Systemen kluge Entscheidungen zu treffen. Stattdessen erzeugt er oft eine Art meta-soziale Erlaubnis: die Illusion, man müsse jetzt „führen“, „gestalten“ und „verändern“, selbst wenn man die innere Grammatik des Unternehmens noch nicht versteht.

1. Akademische Exzellenz – praktische Blindheit?

Je mehr Titel, Zertifikate und Universitätswissen ein junger Nachfolger im Gepäck hat, desto stärker ist die Versuchung, das Unternehmen durch die Linse abstrakter Modelle zu betrachten. Was an Hochschulen funktioniert – idealisierte Best Practices, strategische Frameworks, theoretische Optimierungslogiken – kollidiert in Familienunternehmen oft mit:

  • gewachsenen Beziehungen,
  • informellen Strukturen,
  • implizitem Wissen der Mitarbeiter,
  • historischen Narben,
  • und einer Realität, die selten so linear ist wie ein Lehrbuch.

Akademisches Wissen ist wertvoll – aber es ist kontextlos, solange man das Unternehmen nicht in seiner organischen Tiefe versteht.

Wenn ich mich richtig erinnere, war es der inzwischen leider verstorbene Dr. Bernard Krone, früherer CEO des Landmaschinenherstellers Krone, der in einem Fernsehinterview sagte, er werde keine Mitarbeiter mit Doppelstudienabschluss mehr einstellen. Warum wohl? Zu viel theoretischer Ballast im Kopf? Akademische Ausbildung hilft – bis zu einem gewissen Punkt. Danach fällt der Grenznutzen.

2. Der Drang, das Rad neu zu erfinden

Viele junge Nachfolger zeigen einen fast reflexhaften Gestaltungsdrang. Neues muss her – sofort, sichtbar, spürbar. Daraus entstehen typische Muster:

  • Budgets werden überstrapaziert, weil eine Modernisierung „ein Zeichen setzen“ soll.
  • Geld wird ausgegeben, als gäbe es kein Morgen, um Prozesse aufzupolieren, die oft gar nicht die Engpässe des Unternehmens sind.
  • Die falschen Prioritäten werden gesetzt, weil der Eindruck besteht, man müsse direkt „Wirkung“ zeigen.
  • Bewährte Strukturen werden infrage gestellt, nur weil sie alt sind – nicht weil sie schlecht sind.

Es ist nicht böser Wille. Es ist Eifer, Ambition, manchmal auch innere Unruhe oder der Wunsch, nicht wie der Vater/die Mutter zu wirken. Es ist das psychologische Grundmuster: Wenn ich schon übernehme, dann möchte ich auch eine sichtbare Spur hinterlassen. Doch Spuren lassen sich nicht durch Investitionen schaffen – sondern durch kluge, überlegte und angemessene Entscheidungen ([ hierzu wird in 2026 ein neues Buch von mir/des Blog-Autors erscheinen).

3. Hybris ist keine Frage des Charakters, sondern der Lebensphase

Es wäre zu einfach, die jungen Nachfolger als überheblich zu etikettieren. Was wir beobachten, ist vielmehr:

  • Selbstüberschätzung, weil akademische Erfolge zur Schematisierung verleiten und dadurch Realität fälschlich vereinfachen.
  • Ignoranz vor Bewährtem, weil Tradition meist nicht glamourös wirkt.
  • Unterschätzung des impliziten Wissens, das in Familienunternehmen das eigentliche Kapital ist.
  • Mangelnde Demut, weil sie noch nicht erlebt haben, was Scheitern in der Realität bedeutet.

Die Universität belohnt schnelle Antworten. In Unternehmen zählt hingegen langsames, tiefes Verstehen.

Bei SIRIS® Systeme unterscheiden wir zwischen Nachfolgern mit erkennbarem Potenzial, Managern mit funktionaler Verantwortung und echten Unternehmern – jenen, die nicht vom Titel leben, sondern selbst geschaffen, gewagt und auch gescheitert sind.

4. Die wichtigste Frage der internen Nachfolge lautet nicht:

„Was willst du verändern?“ Sondern: „Was verstehst du bereits?“

Und genau hier zeigt sich der Reifegrad eines Nachfolgers. Denn bevor jemand führen kann, muss er lernen:

  • zuzuhören,
  • Spannungen im System wahrzunehmen,
  • die nicht-sichtbaren Netzwerke zu erkennen,
  • die Mitarbeiterseele des Hauses zu respektieren,
  • und zu verstehen, dass Veränderung kein Projekt ist, sondern ein Verhältnis.

5. Warum dieser Fehler so häufig ist

Weil junge Nachfolger zwei gegensätzlichen Bewegungen ausgesetzt sind: Sie wollen Anerkennung gewinnen – und sich zugleich vom Vorgänger abgrenzen. Beides führt zu übereilten Entscheidungen. Beides führt zu Investitionen, die mehr Symbolik als Nutzen haben. Beides führt zu einer Priorisierung nach Außenwirkung statt nach innerer Logik. Es ist nicht der Wille zur Modernisierung, der gefährlich ist – sondern die fehlende Unterscheidungsfähigkeit zwischen: notwendiger Erneuerung und selbstreferenzieller Aktivität.

6. Die Lösung ist selten radikal – sondern psychologisch

Ein Nachfolger braucht keine großen Gesten. Er braucht Einbettung:

  • in die Geschichte des Unternehmens,
  • in die stillen Regeln,
  • in das implizite Wissen langjähriger Mitarbeiter,
  • in die Machtlinien, die man nicht im Organigramm findet.

Wer das verstanden hat, sieht sofort: Das größte Kapital eines Nachfolgers ist nicht sein Abschluss, sondern sein Urteilsvermögen – und die Fähigkeit, sich in entscheidenden Momenten selbst zurückzunehmen.

Weil Führung erlernbar ist, braucht der Nachfolger vor allem Orientierung. Genau hier setzt SIRIS® Systeme an – mit u.a. Traineeprogrammen, die den inneren Kompass schärfen und aus gutem Willen kluge Entscheidungen machen.

Autor: Norbert W. Schätzlein, Kontakt zum Autor per E-Mail: schaetzlein@siris-systeme.de

09.2025. Norbert Schaetzlein, Foto: Rolf Schultes

Bildquelle zum Titelbild: Nach einer Idee des Autors. KI-generierte Illustration, erstellt mit ChatGPT (OpenAI) über DALL·E, 2025.

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