
Es gibt Gespräche, in denen sich der Austausch lohnt. Und es gibt solche, in denen jede Silbe vergeudet ist. Wer oft diskutiert, kennt dieses Gefühl: Man trifft auf Menschen, die nicht am Dialog interessiert sind, sondern in Gegenwart anderer monologisieren – so, wie Vera F. Birkenbihl es treffend beschrieb. Der Gesprächspartner dient ihnen lediglich als Kulisse für die eigene Inszenierung.
Ihre Aussagen sind keine Einladungen zum Nachdenken, sondern Einbahnstraßen voller Sprechblasen – gespeist aus Halbwissen, Emotion und Wiederholtem vom Hörensagen. Ihre Meinungen stammen aus zweiter oder dritter Hand, geformt aus Schlagzeilen, Talkshows, Social-Media-Kommentaren – aufgesogen, nie reflektiert.
Widerspricht man solchen Stimmen, wird man nicht zum Dialog eingeladen, sondern zum Stellungskrieg provoziert.
Man könnte sagen: Sie sind nicht satisfaktionsfähig.
Was bedeutet das eigentlich – nicht satisfaktionsfähig?
Der Begriff stammt aus der Welt des Duells. Wer als nicht satisfaktionsfähig galt, war kein ebenbürtiger Gegner – weil es an Ehre, Rang oder geistiger Reife fehlte.
Übertragen auf heutige Diskurse heißt das: Wer nicht willens oder fähig ist, sich auf ein redliches Ringen um Wahrheit einzulassen, ist kein ernstzunehmender Gesprächspartner.
Und genau das erleben wir immer häufiger: Menschen, die mit großer Vehemenz Positionen vertreten, deren Fundament nichts als Hörensagen ist – verwoben mit diffusen Emotionen, persönlichen Kränkungen und der Dauerberieselung durch interessengeleitete Medien, die sie für Aufklärung halten.
Wer nichts weiß, darf (und soll) schweigen oder etwas deftiger: Schnauze halten!
Es wäre ein Zeichen geistiger Reife, in einem Gespräch zu sagen: „Davon habe ich keine Ahnung. Ich höre erst einmal zu.“ Doch das scheint aus der Mode gekommen zu sein.
Stattdessen wird geredet und gelabert – laut, konfus und mit erstaunlicher Chuzpe. Unwissenheit wird nicht mehr versteckt, sondern stolz wie eine Monstranz vor sich hergetragen – als vermeintlicher Ausdruck von Meinungsfreiheit, die man im Übrigen dem Gegenüber nicht zugesteht.
Was verbirgt sich dahinter? Oft nur ein reflexartiges Wiederkäuen fremder Meinungen, die nie durchdacht wurden. Kommt ein fundierter Einwand, heißt es nicht etwa: „Darüber muss ich nachdenken.“ Sondern: „Das kann gar nicht sein – das hätte ich ja sonst schon irgendwo gehört oder gelesen.“
Unwissenheit wird zur Zier – und zur Ausrede, jede neue Perspektive abzulehnen.
Reibung ja – aber nur auf Augenhöhe
Diskurs ist wichtig – gerade in unübersichtlichen Zeiten. Aber nicht jeder Diskurs ist sinnvoll. Wer nur spricht, um die eigene Meinung zu polieren, wer andere als Projektionsfläche für das eigene Ego nutzt, wer mit Phrasen pariert, statt zuzuhören – der sucht keine Wahrheit. Der braucht nur Widerstand, um sich selbst zu bestätigen.
Ein fruchtbares Gespräch beginnt nicht mit Rechthaberei, sondern mit Demut. Mit dem Wissen: Auch ich kann irren. Mit der Neugier: Woher kommt dein Gedanke? Was weißt du, was ich vielleicht übersehen habe? Und mit der Haltung, am Ende sagen zu können: „Das klingt interessant. Darüber muss ich noch weiter nachdenken.“
Das stille Privileg, sich entziehen zu dürfen
Es ist kein Rückzug, sich destruktiven Diskussionen zu entziehen. Es ist Selbstschutz. Geistige Hygiene. Man muss sich nicht von jedem provozieren lassen. Man muss nicht jedes verbale Duell annehmen, nur weil jemand das rhetorische Schwert zückt.
Man darf sagen: „Dieses Gespräch bringt uns beide nicht weiter. Ich schweige lieber.“ Oder klarer: „Ich spreche gern mit dir – aber nur, wenn wir beide dabei etwas gewinnen.“
Lessons learned
Nicht jede Meinung verdient ein Gegenargument. Nicht jede Provokation einen Konter. Nicht jeder Mensch ist bereit für ein echtes Gespräch.
Wer das erkennt, gewinnt Klarheit – und Zeit für die Gespräche, die wirklich lohnend sind.
Denn: Wahrheit wächst nicht im wiedergekäuten Irrtum. Sie zeigt sich dort, wo jemand den Mut hat, hin- und zuzuhören.
Autor: Norbert W. Schätzlein, http://www.siris-systeme.de
E-Mail: schaetzlein@siris-systeme.de
Bildquelle: Illustration erstellt mit Unterstützung von KI (ChatGPT & DALL·E von OpenAI), inspiriert durch eine Idee von Norbert W. Schätzlein.
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