Manchmal funktionieren Dinge, obwohl sie ungenau sind. Sie sind semi-perfekt und trotzdem alltagstauglich. Das ist keine Schwäche, sondern eine stille Superkraft unseres Denkens und unserer Gesellschaft.

Wir erleben täglich, dass komplexe Systeme im Alltag durch grobe Modelle handhabbar bleiben, auch wenn tiefes Verständnis viel differenziertere Einsichten bieten würde. Dieses Phänomen könnte man als „Unschärferelation des Alltagswissens“ bezeichnen:

„Je tiefer das Verständnis einer Sache, desto größer die wahrgenommene Unschärfe in der alltäglichen Anwendung, die dennoch funktioniert.“

Wir brauchen diese Unschärfe, weil sie uns handlungsfähig macht. Das erklärt, warum gut genug oft besser ist als perfekt.

Good Enough, Pareto und soziale Systeme

Das Good Enough Principle (Satisficing) besagt, dass in komplexen Situationen eine „gut genug“-Lösung ausreicht, um Entscheidungen zu treffen und voranzukommen, statt sich in der Suche nach der perfekten Antwort zu verlieren.

Ähnlich verhält es sich mit dem Pareto-Prinzip (80:20-Regel): Für die letzten 20% Präzision braucht man oft 80% des Aufwands, während die ersten 80% bereits den Alltag funktional abdecken.

Komplexität, die funktioniert

Der Physiker Murray Gell-Mann prägte den Begriff der „Effective Complexity“: Systeme funktionieren stabil zwischen vollkommener Ordnung und Chaos, auch ohne dass wir jedes Detail verstehen.

Organisationen und Gesellschaften nutzen sozial konstruierte Einfachheit, um handlungsfähig zu bleiben. Niklas Luhmann beschreibt in seiner Systemtheorie, wie Kommunikation Komplexität reduziert und dabei Unschärfe produziert – zugunsten von Entscheidungsfähigkeit.

In unserem Denken greifen wir zur semantischen Kompression, fassen komplexe Sachverhalte in Alltagssprache oder Routinen zusammen, wodurch Unschärfe entsteht, aber zugleich Handlungsmöglichkeiten offenbleiben.

Warum wir semi-perfekt brauchen – und wo es an Grenzen stößt

Semi-perfekte Systeme funktionieren nur, solange sie von Menschen getragen werden, die lernfähig und verantwortungsbewusst handeln. Wenn Unkenntnis mit Macht gekoppelt wird, steigt das Chaos exponentiell: Dummheit im Sinne von „schadet sich selbst und anderen“ bringt diese funktionierende Unschärfe zum Kippen. Dann wird „gut genug“ gefährlich, weil es nicht von Anpassungsfähigkeit, sondern von Ignoranz getragen wird. Minus mal Minus wird dann nicht Plus, sondern Beschleuniger für kollektive Fehlentscheidungen, die sich unkontrolliert ausweiten.

Fazit

Die „Unschärferelation des Alltagswissens“ ist kein Makel, sondern eine verborgene Struktur, die unseren Alltag trägt. Sie erlaubt uns, zu handeln, zu lernen und nachzujustieren, während die Welt in Bewegung bleibt.

Semi-perfekt und trotzdem funktionierend ist nicht die zweite Wahl, sondern oft die klügere.

Autor: Norbert W. Schätzlein, E-Mail: schaetzlein@siris-systeme.de

Quelle zu Blog-Bild: KI-generiertes Titelbild für zeitfenster.com erstellt mit ChatGPT (https://openai.com), Juli 2025.

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