
Kreativität ist mehr als die Fähigkeit, Neues zu erfinden. Sie ist ein Navigationsinstrument, wenn die Karten veraltet sind und das Gelände sich verändert hat. In der Unternehmenssanierung ist Kreativität kein „nice to have“, sondern oft die einzige Brücke zwischen einer düsteren Gegenwart und einer tragfähigen Zukunft.
Der Physiker und Nobelpreisträger Gerd Binnig brachte es einmal auf den Punkt: „Kreativität ist die Fähigkeit, vorhandene Information gewinnbringend umzustrukturieren und sie zu vermehren.“ In der Krise bedeutet das: aus dem, was da ist, mehr zu machen – und es so zu verändern, dass es wieder wirkt.
Die AURIS®-Methode zeigt, wie sich die Kräfte in vier Quadranten bündeln lassen – und wo typische Blockaden liegen.
Gelber Quadrant – Strategie & Ideenmanagement
Sanierung beginnt oft im Kopf. Kreative Führung bedeutet, alte Denkmuster zu durchbrechen, verkrustete Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Ideenmanagement wird zur Kernaufgabe: in welchen Marktsegmenten besteht noch Potenzial und wo lassen sich neue erschließen? (ergänzendes Werkzeug: Ansoff-Matrix) Welche Angebotsformen öffnen Türen, die bisher verschlossen waren? Akquisition und Vertrieb müssen in dieser Phase spürbar Fahrt aufnehmen.
Binnig mahnt: „Zu viel Wissen kann für die Kreativität schädlich sein, besonders wenn man die mit dem Wissen verknüpften Denkweisen als unveränderlich ansieht.“ In Sanierungssituationen kann gerade der Blick von außen helfen, Routinen zu durchbrechen.
Typische Blockaden:
Gerade in der Krise prallen frische Ideen auf Widerstände. Bürokratische Vorgaben, gesetzliche Hürden und ein Hang zum „So haben wir das immer gemacht“ können die Entfaltung lähmen. Hier hilft oft nur der Mut, diese Widerstände bewusst zu konfrontieren – und parallel rechtliche, regulatorische oder politische Lösungen mit anzustoßen.
Roter Quadrant – Kultur & Mitarbeiterbindung
Kein Turnaround ohne die Menschen im Unternehmen. Die kulturelle Erneuerung zielt darauf, wieder Identifikation und Engagement zu schaffen. Das bedeutet auch, die Belegschaft klar nach Leistungsbereitschaft und Entwicklungswillen zu clustern: High-Performer halten und fördern, Middle-Performer entwickeln, Low-Performer konsequent adressieren. In vielen Fällen sind Entlassungen unvermeidlich – mit all den Fragen und Herausforderungen rund um Abfindungen, Sozialpläne und interne Glaubwürdigkeit.
Binnig betont: „Wer kreativ sein will, braucht ein ausgeprägtes psychisches Immunsystem.“ Gerade Führungskräfte in der Sanierung müssen den emotionalen Druck aushalten, ohne ihre Gestaltungsenergie zu verlieren.
Typische Blockaden:
Kulturwandel braucht Jahre, für die Sanierung ist aber das Zeitfenster meist nur auf Monate limitiert. Das erzeugt Spannungen. Wer vorschnell an der Kultur „dreht“, ohne strukturelle Weichen zu stellen, verbrennt Vertrauen. Umgekehrt lähmt eine Kultur, die in der Krise auf Rückzug statt Aufbruch setzt, jeden Sanierungserfolg.
Grüner Quadrant – Markt & neutrale Analyse
Viele Sanierer nach IDW S6 verstehen sich als neutrale Berichterstatter: akribisch, detailversessen, haftungsvermeidend. Ihre Analysen sind präzise – aber steril. Sie dokumentieren, statt zu gestalten, und laufen Gefahr, zum „Sargnagel“ zu werden, wenn ihre Berichte vor allem Defizite katalogisieren, ohne Gestaltungsspielraum aufzuzeigen.
Binnig erinnert: „Not macht erfinderisch.“ Analysen sollten daher nicht nur Probleme beschreiben, sondern auch in Optionen übersetzen. Die besten Sanierer bleiben neugierig und spielerisch – selbst unter Zeitdruck.
Typische Blockaden:
Die Trennung zwischen Analyse und Umsetzung ist oft zu strikt. Wer nur bewertet, aber nicht mitgestaltet, riskiert, dass Chancen ungenutzt bleiben. Kreativität im grünen Quadranten heißt: Die Analyse als Sprungbrett nutzen, um Handlungsoptionen zu formulieren – nicht nur Zustände zu protokollieren.
Blauer Quadrant – Technik & Finanzen
Hier geht es um die harte Sanierungsarbeit im Maschinenraum: Prozesse neu gestalten, Produkte verbessern, Angebotsschwerpunkte schärfen. Welche Kosteneinsparungen sind möglich, ohne die Substanz zu gefährden? Welcher finanzielle Spielraum bleibt, um in Innovationen zu investieren? Kreativität zeigt sich hier weniger in der Ideenfülle als in der präzisen Verbindung von Technik, Kostenrechnung und Marktrelevanz.
Binnig formuliert: „Ein System, das nicht zu Ausnahmen fähig ist, ist ein totes System.“ Das gilt auch für die Finanz- und Technikseite – zu starre Prozesse verhindern oft die Anpassung an neue Marktbedingungen.
Typische Blockaden:
Zu enge Budgetvorgaben können den Innovationsspielraum ersticken. Wer nur spart, statt auch in Produkt- oder Prozessinnovationen zu investieren, saniert sich ins Abseits. Kreativität heißt hier: Optimieren, ohne den Kern der Leistungsfähigkeit zu beschädigen.

Fazit:
Kreativität ist kein Luxus in der Sanierung – sie ist Überlebensstrategie. Sie verbindet Analyse und Umsetzung, rettet aus Sackgassen und öffnet neue Wege. Die vier Quadranten der AURIS-Methode machen sichtbar, dass nachhaltiger Erfolg nur dann möglich ist, wenn strategische Ideen, kulturelle Erneuerung, marktnahe Analysen und technologische wie finanzielle Neuausrichtung zusammenspielen.
Binnig sagte einmal sinngemäß: „Wir müssen den Narren in uns herauslassen.“ In der Sanierung heißt das: Mut zu ungewöhnlichen Lösungen, Bereitschaft zum Risiko – und das Wissen, dass wahre Erneuerung immer auch ein Stück Unvernunft braucht.
PS: … etwas mehr Kreativität im Unternehmen hätte so manche Sanierung verhindert.
Autor: Norbert W. Schätzlein, E-Mail: schaetzlein@siris-systeme.de

Quellen:
Binnig, Gerd: Aus dem Nichts, Über die Kreativität von Natur und Mensch, 2. Aufl., München: Piper Verlag GmbH, 1989
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