Warum Apathie und Rückzug zunehmen – und was wir aus 500 Jahren Geschichte lernen könnten

1. Chronik der Angst

Seit dem 11. September 2001 lebt die westliche Welt im permanenten Krisenmodus – und gefühlt nirgends wird dieser so intensiv verinnerlicht wie in Deutschland, wo man sich oft als Klassenbester begreift und aus historischen Schuldkomplexen heraus zur Übererfüllung neigt.

Kaum war der asbesthaltige Rauch über Manhattan verzogen, folgte eine nicht endende Kette globaler Erschütterungen:

– Die Finanzkrise ab 2007, 
– die sogenannte Euro-Rettungskrise ab 2010, 
– Reaktorunfall Fukushima (Japan) 2011, 
– die Flüchtlingskrise 2015, 
– die Corona-P(l)andemie 2020, 
– der Ukrainekrieg ab 2022, 
– Energiekrise, Inflation, Rezession, 
– und nicht zuletzt: die Dauer-Klimaangst, genährt vom CO₂-Narrativ, das aus einem ursprünglich ökologischen Anliegen eine existentielle Bedrohungslage gemacht hat – oft ohne Raum für Differenzierung, offene Debatte oder technische Perspektiven jenseits des erhobenen Zeigefingers (und, dieser Aperçu muss sein: Luftbesteuerung).

Jede einzelne Krise wirkte wie ein Schlag – zusammen jedoch entfalten sie eine tiefgreifende Veränderung der kollektiven Psyche. Viele Menschen sprechen nicht mehr von „normalem Leben“, sondern von einem permanenten Ausnahmezustand. Medien, Politik und Algorithmen verstärken diese Dynamik: Angst verkauft sich, erzeugt Aufmerksamkeit, macht steuerbar.

2. Die stille Erosion

Wer heute durch deutsche Innenstädte geht, blickt in stumpfe, ausdruckslose Gesichter und spürt es: den leisen Rückzug ins Private, vermehrte Gereiztheit, Antriebslosigkeit, eine diffuse Müdigkeit. Was früher noch mit Engagement, Neugier oder gesunder Skepsis gelebt wurde, ist vielerorts einer erschöpften Teilnahmslosigkeit gewichen.
Doch diese Entwicklung ist kein Charakterproblem der Einzelnen – es ist die Folge eines gesamtgesellschaftlichen Daueralarms. Der Mensch, der ständig mit Katastrophenbildern und Bedrohungsszenarien überflutet wird, verliert seine innere Mitte, gerät aus der Balance. Die Fähigkeit zur Lebensfreude wird systematisch untergraben.

3. Angst ist kein Gefühl – sie ist ein Zustand

Angst ist nicht einfach nur ein unangenehmes Gefühl. Sie ist ein biochemisch messbarer Zustand des Körpers. Sie aktiviert das Stresssystem, erhöht Cortisol und Adrenalin, fördert Entzündungen, hemmt Reparaturmechanismen und führt langfristig zu Erschöpfung. Wer in der Angst lebt, lebt gegen den eigenen Organismus und stirbt früher.

Drei grundlegende Reaktionsmuster bestimmen dann unser Verhalten:
– Flucht: Rückzug, Isolation, Meidung sozialer Kontakte 
– Angriff: Überreaktion, Aggression, Projektion auf Sündenböcke 
– Erstarrung: Apathie, depressive Symptome, Antriebslosigkeit

Diese Muster laufen instinktiv ab. Je länger sie aktiv sind, desto tiefer graben sie sich ins Nervensystem ein.

4. Das Minimumgesetz – und warum so viele kollabieren

Dr. Michael Nehls beschreibt in Das Lithium-Komplott, wie unser Gehirn nicht nur unter psychischer Belastung leidet, sondern auch biochemisch aus dem Gleichgewicht gerät. Besonders Lithium, ein essenzieller Spurenelement-Stabilisator für emotionale Resilienz, fehlt in vielen modernen Böden und damit auch in der Nahrung.


Was folgt, ist das alte Minimumgesetz von Carl Sprengel und Justus von Liebig: Nicht das Maß der Fülle, sondern der Engpass bestimmt, ob ein Organismus funktioniert. Schon ein einzelner Mangel kann die gesamte Systemleistung massiv beeinträchtigen – bei Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen.
In Kombination mit Dauerstress wirkt dieser Mangel wie ein Brandbeschleuniger: Die kognitive Leistung sinkt, Reizbarkeit steigt, das Immunsystem schwächelt – bis zur völligen Erschöpfung.

5. Neurogenese, Schlaf und Lebenssinn

Ein weiterer zentraler Punkt, den Nehls beschreibt, ist die hippocampale Neurogenese – die Bildung neuer Nervenzellen im Gehirn, vor allem im Hippocampus. Dieser Prozess ist entscheidend für unser Lernvermögen, unsere Erinnerungsfähigkeit und unser Gefühl für Sinn im Leben. 

Doch: Neurogenese findet nur in der Ruhephase statt – besonders im gesunden Schlaf. Wer unter chronischer Angst leidet, schläft aber schlechter. Wer schlechter schläft, bildet weniger neue Nervenzellen. Ein Teufelskreis beginnt.
Verliert der Mensch seine Fähigkeit zur Neugier, zur Begeisterung, zum Erlernen neuer Zusammenhänge, dann verliert er auch sein Gefühl für Zukunft. Genau das aber wäre heute wichtiger denn je.

6. Das Jahr 2025 – sollte es nicht ein Jahr der Umkehr sein?

2025 markiert 500 Jahre seit dem Bauernkrieg – dem größten Freiheitskampf auf deutschem Boden. Damals erhoben sich Menschen, weil sie Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Eigenverantwortung wollten – und sich gegen eine übergriffige Obrigkeit und eine verrechtlichte, entfremdete Justiz wandten. Ihr Ruf war klar:

„Frei wollen wir sein.“

Und mit beißender Logik fragten sie:

„Als Adam grub und Eva spann – wo war da der Edelmann?“

Diese Frage hallt bis heute nach. Denn auch heute geht es um die Rückgewinnung von Freiheit – nicht mit der Mistgabel, sondern mit dem Mut zum eigenen Denken.

Heute, ein halbes Jahrtausend später, stehen wir erneut an einem Scheideweg. Bleiben wir passiv in der Spirale der Angst – oder finden wir zurück zur aktiven Selbstermächtigung? Lernen wir wieder zu denken, zu unterscheiden, Verantwortung zu übernehmen? Oder lassen wir uns weiter lähmen – durch Angst, inszenierte Empörung und eine Flut sinnentleerter Informationen, serviert als neues „Brot und Spiele“ für ein erschöpftes Publikum?
Die Wahl liegt bei jedem selbst – und doch ist es eine kollektive Aufgabe. Denn nur eine Gesellschaft, die ihre mentale Gesundheit pflegt, kann auch eine gesunde Zukunft gestalten.

7. Wenn selbst Wissenschaft Angst macht

Wissenschaft sollte zur Aufklärung beitragen – ergebnisoffen, differenziert und ohne politischen Beipackzettel. Sie braucht keine Mehrheit zur Legitimation, sondern gute Argumente. Der Satz „Die Mehrheit der Experten sagt …“ ersetzt kein Denken – er verhindert es.

Doch in den vergangenen Jahren wurde Wissenschaft allzu oft zur Lieferantin von Angstnarrativen. Nicht offene Fragen, nicht das Ringen um Erkenntnis und Differenzierung standen im Vordergrund, sondern zugespitzte Schlagzeilen, Worst-Case-Modelle, moralischer Druck – und über allem thronte der scheinbar (!) alternativlose Konsens.

Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung beim Thema Klima. Was ursprünglich als berechtigte Sorge um unsere Umwelt begann – und hier sei ausdrücklich betont: Umweltschutz ist etwas völlig anderes und sollte für jeden Menschen selbstverständlich sein – wurde in vielen Kreisen zu einer apokalyptischen Erzählung übersteigert. Manche Menschen – selbst Professoren – behaupten öffentlich, der Planet werde in wenigen Jahren unbewohnbar sein. Solche Botschaften verfangen, besonders bei jungen Menschen, die ohnehin mit wachsenden Zukunftsängsten leben.

Doch die Wirklichkeit ist komplexer als jedes Modell. Wer CO₂ zum alleinigen Maßstab aller Dinge erhebt und technologische wie wirtschaftliche Lösungsansätze von vornherein abwertet, verlässt den Boden wissenschaftlicher Offenheit – und betritt den Raum der Ideologie. Zumal es sich bei CO₂ um ein Spurengas mit einem Anteil von rund 0,044 % in der Atmosphäre handelt – dessen Vegetationsoptimum sogar deutlich höher liegt, bei etwa 0,1 %.

„Nichts im Leben ist zu fürchten, es ist nur zu verstehen.“ – Marie Curie

Und wieder ist es die Angst, die als Hebel dient. Eine ganze Generation wächst in dem Gefühl auf, Teil eines Untergangs zu sein – statt Teil einer Lösung werden zu können. Hoffnung wird ersetzt durch Schuld. Gestaltungskraft durch Panik.

8. Das verlorene Gleichgewicht

Die Folge all dieser Entwicklungen: ein inneres Ungleichgewicht. Der Mensch wird zum Dauerbeobachter von Katastrophen. Seine Sinne überladen. Sein Organismus gestresst. Seine Psyche erschöpft. Seine Weltsicht im Tunnelblick eingeengt.

Was fehlt, ist der Ausgleich. In einer Welt der ständigen Reizüberflutung und digitalen Dauerpräsenz braucht es Räume der Regeneration – individuell wie kollektiv:

  • Mentale Oasen der Stille, um wieder bei sich anzukommen,
  • echte zwischenmenschliche Begegnung statt oberflächlicher Vernetzung,
  • Bewegung an der frischen Luft, um Körper und Geist zu erden,
  • gesunde, nährstoffreiche Ernährung, die das System stabilisiert,
  • einfache Routinen und Rituale, die Struktur, Rhythmus und Halt geben,
  • und vor allem: Vertrauen in die eigenen Wahrnehmungen, Gedanken und intuitiven Urteile – als Grundlage innerer Autonomie in einer komplex vernetzten Welt.

Der Körper ist kein Rechenzentrum. Er braucht Rhythmen, nicht nur Daten. Wer diese Rhythmen wiederfindet, stärkt auch seine Fähigkeit zur Resilienz – körperlich, geistig, seelisch.

9. Mentale Selbstverteidigung ist möglich

Die gute Nachricht ist: Angst ist kein Schicksal. Sie ist ein Zustand – und Zustände können verändert werden. Wer sich selbst erlaubt, wieder zwischen echten Gefahren und künstlich erzeugten Bedrohungen zu unterscheiden, gewinnt Autonomie zurück.

Es ist erlaubt, Dinge zu hinterfragen. Es ist erlaubt, auf innere Signale zu hören. Es ist erlaubt, sich Rückzugsräume zu schaffen, wo andere nur noch Aktionismus predigen.

„Sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ – Immanuel Kant

Mentale Selbstverteidigung beginnt mit dem Wort Stopp.
Stopp zu den ständigen Push-Nachrichten. 
Stopp zur pausenlosen medialen Reizüberflutung. 
Stopp zur Konditionierung auf Schuld, Angst und Ohnmacht.

Stattdessen: neugierige, friedliche Aufmerksamkeit für das, was wirklich da ist – oft zu finden in der stillen Präsenz der Natur, besonders jetzt, Anfang Juni, wenn alles noch in voller Blüte steht.

10. Die Rückbesinnung auf das Eigene

Inmitten der Dauerwelle äußerer Krisen liegt eine Chance: die Rückbesinnung auf das Eigene. Was macht mich aus? Wo liegt mein Maßstab? Welche Werte möchte ich leben – jenseits von Agitation und Gruppenzwang?

Wer wieder mit sich selbst in Kontakt kommt, spürt auch wieder, was gut tut: was Kraft schenkt, was inspiriert, was verbindet. Das heißt nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen – sondern bewusst, wach und eigenständig in ihr aufzutreten. Als Mensch mit reflektierter Haltung, mit gesundem Misstrauen gegenüber Massenemotionen, mit klarem Menschenverstand – und mit echtem Mitgefühl für andere.

„Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ – Rosa Luxemburg

11. Unser Jahr 2025 – Ein Jahr der Erinnerung und der Entscheidung

500 Jahre nach dem Bauernkrieg ist 2025 ein symbolisches Jahr. Damals ging es um Befreiung von Leibeigenschaft, von ungerechten Herrschaftsstrukturen, um Selbstbestimmung. Heute geht es wieder um etwas Ähnliches – nur subtiler: 
Nicht Ketten aus Eisen, sondern mentale Fesseln bestimmen unser Leben. Nicht Fürstenhöfe, sondern Algorithmen und Narrative sagen uns, was wir zu denken und zu fühlen haben.

Der Ruf nach Freiheit ist leiser geworden – aber er ist nicht verstummt. Wer ihn hört, spürt: Der Ausweg liegt nicht im nächsten politischen Versprechen oder im großen Systemwandel, sondern im Einzelnen. Im selbst denkenden Menschen. Im freien Bürger. In der geistigen Unabhängigkeit, die sich nicht kaufen, nicht moralisieren und nicht durch Angst lähmen lässt.

„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ sowohl Albert Einstein zugeschrieben wie Rita Mae Brown

Epilog: Die Angst entmachten

Die Angst ist ein Werkzeug. Wer es führt, kann Gesellschaften in Bewegung setzen – oder sie brechen. Doch sie verliert ihre Macht in dem Moment, in dem man ihr ins Gesicht sieht. Wer erkennt, wie Angst gemacht wird, verliert die Furcht davor. Es ist wie im Märchen vom Rumpelstilzchen: Solange der Name verborgen bleibt, wirkt der Zauber. Doch sobald er ausgesprochen wird, löst sich die Bedrohung in Luft auf. Deshalb ist der wichtigste Schritt zurück ins Leben der, der nicht in Panik geschieht – sondern in Bewusstsein. In Ruhe. In Würde.

2025 kann ein Jahr der Erkenntnis werden. Ein Jahr der inneren Umkehr. Nicht aus Trotz, sondern aus Klarheit. Nicht gegen andere – sondern für uns selbst.

„Du musst dein Leben ändern.“ – Rainer Maria Rilke

Autor: Norbert W. Schätzlein, E-Mail: schaetzlein@siris-systeme.de

Quelle zum Titelbild: Illustration generiert auf Basis einer Idee von Norbert H. mit KI-Unterstützung (DALL·E von OpenAI)

Quelle Faßbild: https://de.wikipedia.org/wiki/Minimumgesetz

Illustration zum „Minimum-Gesetz“ nach Justus von Liebig – die Flüssigkeit in einem Fass kann nur so hoch steigen, wie die kürzeste Daube hoch ist.

Hinweis: „Angst essen Seele auf“ ist ein Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974. Der Untertitel im Titelbild sowie im Blogbeitrag nimmt in Anlehnung Bezug auf diesen gleichnamigen Film. Die Verwendung erfolgt nicht zu kommerziellen Zwecken, sondern als kultureller Hinweis mit inhaltlichem Bezug. Der Autor bedankt sich für diese Inspiration.

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